Stammzellen: Therapien der Zukunft?

Stammzellen könnten bei einigen Krankheiten von Mensch und Tier zu Durchbrüchen beitragen, wo andere Behandlungsmöglichkeiten versagen. Insbesondere der Veterinärsektor bewegt sich mit großen Schritten auf neue Entdeckungen und Medikamente zu.

Das von Boehringer Ingelheim neu erworbene Biotechnologieunternehmen Global Stem cell Technology (GST) ist an vorderster Front dieser Entwicklung tätig. Aber was genau sind eigentlich Stammzellen und warum sind sie so bedeutend?

Potenzial für die Zukunft

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Mesenchymale Stammzellen scheinen unglaubliche Fähigkeiten zu besitzen: Sie können dazu beitragen, die angeborene Selbstheilungskraft des Körpers zu mobilisieren. „Injiziert man Stammzellen in einen erkrankten Organismus haben sie das Potenzial den Körper darin zu unterstützen, ein neues Gleichgewicht zu schaffen1,2,3“, erklärt Glenn Pauwelyn, ehemals Senior Scientist bei GST und jetzt Teil des weltweiten Forscher- und Entwicklerteams „Animal Health Global Innovation“ bei Boehringer Ingelheim. Die Stammzellen verbinden sich mit dem verletzten Gewebe und starten dank ihrer immunmodulatorischen Wirkung sozusagen einen Regenerationsprozess auf das angeborene und adaptive Immunsystem.1,2,3 Ist das Immunsystem also aus den Fugen geraten, kann es mithilfe von mesenchymalen Stammzellen wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. 

„Diese Stammzellen könnten zukünftig das Potenzial haben, sehr unterschiedliche entzündliche und immunvermittelte Erkrankungen zu bekämpfen – zum Beispiel orthopädische Probleme, chronische Nierenerkrankungen, Krebs, Allergien, Hauterkrankungen und viele mehr, die uns derzeit noch gar nicht bekannt sind“, ergänzt Pauwelyn. 

Es könnten sich also viele Möglichkeiten bieten. Genau das ist es, was für Boehringer Ingelheim sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus strategischer Sicht sehr attraktiv ist. „Dies entspricht genau unserer Strategie in der Tiergesundheit“, betont Eric Haaksma, Leiter AH Global Innovation. „Wir betrachten Krankheiten speziesübergreifend. In diesem Fall schauen wir uns an, wie entzündliche und immunvermittelte Krankheiten im Allgemeinen auftreten. Wir fokussieren uns nicht mehr ausschließlich auf die einzelnen Tierarten. Bezüglich der Stammzellen betrachten wir also nicht nur, wie wir Lahmheit bei Pferden behandeln können. Weitere Forschung auf diesem Gebiet bedeutet, neue Türen zu öffnen und innovative Ansätze in Bereichen zu erforschen, in denen es noch keine zufriedenstellenden Behandlungsmöglichkeiten gibt.“

Willkommen in der Schaltzentrale

Der Körper aller Menschen und Tiere besteht aus Billionen von – größtenteils spezialisierten – Zellen. Als Blut-, Nerven-, Leberzellen oder in anderweitiger Funktion dienen sie einem bestimmten Zweck. Die Spezialisierung von Zellen ermöglicht das Wachstum und die Schaffung komplexer physiologischer Strukturen. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass diese Zellen in ihrer Entwicklung recht starr sind. Mesenchymale Stammzellen hingegen haben sich noch nicht differenziert und können sich – mitunter dank moderner Technologie – in gewisse Zelltypen verwandeln – etwa Knorpelgewebe, Muskelzellen und Knochenzellen. Darüber hinaus besitzen sie einzigartige Fähigkeiten zur Modulierung des Immunsystems.1,2,3 Diese Fähigkeiten nutzt Boehringer Ingelheim, jetzt mit GST als integralem Teil der Organisation, um Stammzellen von Pferden in vielversprechende Therapien zu verwandeln.

Stammzellen von Pferden für innovative Medizin

Mesenchymale Stammzellen von Pferden besitzen einzigartige Kultivierungseigenschaften und können leicht von einem gesunden Spenderpferd entnommen werden. Dem Pferd wird dabei nur eine geringe Menge Blut abgenommen – wie bei einer Blutuntersuchung. Um die hohe Konzentration an Stammzellen zu erreichen, die für die Behandlung benötigt wird, vermehren Pauwelyn und seine Kollegen die Stammzellen im Labor. Anschließend werden sie für die Verwendung in einem stammzellenbasierten Produkt zur Therapie von Lahmheit bei Pferden weiterentwickelt.

„Durch die Verabreichung von Stammzellen kann möglicherweise die Lebensqualität aufrechterhalten und zugrundeliegende Ursachen bekämpft werden“, erläutert Pauwelyn. Tierärzte injizieren die Stammzelltherapie gegen Lahmheit beispielsweise direkt in die Gelenke eines lahmenden Pferdes, sodass es seine Wirkung genau dort entfaltet, wo sie benötigt wird. „Das funktioniert bei Pferden sehr gut, da sie große Gelenke haben“, erklärt Pauwelyn. Für diese Methode der Verabreichung eignen sich chondrogen induzierte Stammzellen. Diese Art Stammzellen wurden im Labor so stimuliert, dass sie sich in einen vordifferenzierten Zustand entwickelt haben. 

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„Außerdem arbeiten wir bereits an Stammzelllösungen für Katzen und Hunde“, so Pauwelyn. „Bei Haustieren könnte allerdings eine systemische Behandlung sinnvoller sein.“ Sprich bei bestimmten Beschwerden die Behandlung des gesamten Organismus anstelle einer lokalen Behandlung.

Bei einer systemischen Therapie würden undifferenzierte mesenchymale Stammzellen in den Blutkreislauf injiziert werden. Die Stammzellen könnten sich – so die Annahme – durch den gesamten Organismus bewegen und dort, wo ein Ungleichgewicht besteht, dazu beitragen, eine stabilisierende Wirkung zu entfalten. „Daran forschen wir derzeit – und hoffentlich werden wir damit in Zukunft neue Wege im Bereich der Kleintierarzneimittel beschreiten können“, so Pauwelyn zuversichtlich.

An der Schwelle zur Revolution

„Jeden Tag lerne ich mehr darüber, was Stammzellen leisten können“, sagt Pauwelyn. Das mache das Thema Stammzellen so faszinierend. Es sei ein Bereich, der sich noch ganz am Anfang seiner Entwicklung befinde. Und: „Dort, wo andere Behandlungen scheitern, könnten wir eines Tages die Möglichkeit haben, zu heilen!“

Fußnoten

  1. da Silva et al. 2009 - Mechanisms involved in the therapeutic properties of mesenchymal stem cells

  2. Macdonald and Barret 2020 - Potential of Mesenchymal Stem Cells to Treat Systemic Inflammation in Horses

  3. Wei and Jianyong 2019 - Immune modulation by mesenchymal stem cells